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von
Alexander
Auer
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Weihnachtsgeschichte

srrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr
Der Antrieb des Aufzugs surrt leise und der Mann neben mir riecht penetrant nach Schweiß und billigem After Shave. Möglicherweise ist es sogar das After Shave, das den Schweißgeruch verbreitet. Ich würde gerne ein wenig auf Distanz gehen, aber der Aufzug ist so voll, daß kein Zentimeter Platz zuviel vorhanden ist.
24. Dezember, 10.45h. Weihnachten im Kaufhaus.
Der absolute Shopping-Overkill.
In Gedanken gehe ich meine Geschenkliste durch. Meine potentielle Geschenkliste.
Eltern: Fragezeichen.
Schwester: Fragezeichen.
Oma: Fragezeichen.
Freundin: 3 Rufzeichen. Dahinter 5 Fragezeichen.
Noch 75 Minuten bis die Geschäfte schließen, der Countdown läuft.
srrrrrrr - klapp - srrrrrrrr -klapp
Das Surren des Aufzugs wird von einem rhythmischen Klappern begleitet.
Oma könnte ich eine Vase schenken. So eine richtig kitschige mit rosa Blümchen und so. Aus dem 10-Schilling Shop. Oder hab ich ihr so eine vielleicht schon letztes Jahr ...?
srrrrrr - klapp - quietsch - srrrrrrr - klapp - quietsch
Und meiner lieben Freundin könnte ich doch ... könnte ich doch ...
srrrrrr - klapp - quietsch - srrrrrrr - klapp - quietsch - KLONK
Mit einem Ruck, der mich taumeln lässt, bleibt der Aufzug stehen.
Scheiße.
Die digitale Anzeige, auf der eben noch ein kantiger Dreier zu erkennen war, wirft mir nun ein freundliches 'ERR' entgegen.
"Was ist denn los? Warum geht es nicht weiter?". Der Mann mit dem Schweißgeruch-After Shave versucht sich nervös umzudrehen.
Eine Dame, die verdächtig übertrieben auf Businessfrau gestylt ist, antwortet genervt: "Das verdammte Ding ist steckengeblieben. Wahrscheinlich überlastet. Können Sie lesen für wie viele Personen es zugelassen ist?"
Der Mann beugt sich noch näher zu mir, um die Plakette besser lesen zu können. Ein leichter Hauch von Übelkeit steigt in mir auf.
"Hier steht ... 8 Personen ..."
"Na bravo, und wir sind ...", sie wirft einen Blick in die Runde, "...15. Kein Wunder. Weil ein paar besonders Eilige sich unbedingt noch hineindrängen mussten!"
Ein vorwurfsvoller Blick trifft mich, der ich als letztes eingestiegen bin, und ich muss verlegen zu Boden blicken.
"Sollten wir nicht den Alarmknopf drücken, damit uns hier jemand befreit?", versuche ich einen konstruktiven Beitrag zur Situation zu leisten, und vom 'Wer ist als letztes eingestiegen' -Thema abzulenken.
"Sollten wir wohl", seufzt die Businessfrau und kämpft sich mit einer freien Hand zum Panel durch, um den Alarmknopf zu betätigen.
"Mehr können wir momentan wohl nicht tun."
Stille macht sich in betretenen Gesichtern breit.
Nur das regelmäßige Flackern des Alarmknopfes verbreitet unsichtbaren Lärm. Stiller Alarm, um eine Panik zu vermeiden. Willkommen in der digitalen Welt.
blink - blink - blink
Durch das gedämpfte Licht dringt blechern die Fahrstuhlmusik.
Jingle Beeeeeeells, Jingle Beeeeeeeells, jingle aaaaaallll the waaaayyyyy
Hmpf.
Weihnachtslieder gehören an sich schon zu den schlimmeren Sachen, die einem im Leben passieren können. Die geballte Ladung, die man im Dezember in den Einkaufsstraßen um die Ohren geschmettert bekommt, lassen sie allerdings zu einem nervlichen Spießrutenlauf wachsen.
oh, what fun, it is to riiiiiiide, in a one horse open slaaaaayyyyyy
Ein Blick auf die Uhr verrät mir, daß es nur noch 67 Minuten bis Geschäftsschluss sind.
Miss Business versucht extrem gelangweilt zu wirken, und klopft dabei nervös auf ihre Aktentasche. Ich stelle mir vor, daß sie am linken Schulterblatt eine 'Time is Money'-Tätowierung hat.
blink - blink - blink
Das Blinken des Alarms hat etwas hypnotisierendes an sich.
Die letzten Töne von Jingle Bells verklingen, erfrischende Ruhe tritt kurzzeitig ein.
dam dada dam dada dam dadadadadada dam
Oh Gott, 'Little Drummer boy'. Eine kleine Schweißperle bildet sich auf meiner Stirn.
Come they told me blink - blink - blink pa rum pum pum pum
Meine Oberlippe beginnt leicht zu zucken.
A new born blink - blink - blink King to see pa rum blink - blink - blink pum pum pum
Meine Fingernägel graben sich tiefer in meine schweißnassen Handflächen.
Our finest gifts we blink - blink - blink bring pa rum pum pum blink - blink - blink pum
Nun beginnt auch mein linkes Augenlid wild zu flattern.
To lay before blink - blink - blink the King pa blink - blink - blink rum pum blink - blink - blink pum pum rum pum pum blink - blink - blink pum  rum pum blink - blink - blink pum pum
Der Mann mit dem Schweißgeruch After Shave lächelt mir zu. Ich versuche zurückzulächeln, doch plötzlich wächst sein Lächeln zu einem Grinsen das immer breiter wird. Es dehnt sich immer weiter, bis es schließlich sein ganzes Gesicht einnimmt und verschlingt. Kurze, abgehackte Lachsalven tropfen von meinen Lippen.
So honor blink - blink - blink him pa rUm blink - blink - blink PUm pUM pum, when wE cOME blink - blink - blink
krrrtsch- krck -srrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr
Ein überwältigendes Gefühl von Bewegung trifft alle meine Sinne wie ein Blitzschlag. Die Businessfrau dreht sich zu mir um und bewegt die Lippen. Sie scheint etwas zu sagen, aber ich kann ihre Worte nicht hören. Ein Schweißtropfen fällt von meiner Braue ins Auge. Es brennt höllisch.
LITtLe BABY paRUmPUMpuMpuMIAMAPOO rboyTOOPARUMPumPUMPUmI HAVENOGIFTTOBRI NGPARUMPUMPUMP
Die Musik scheint eine unglaubliche Lautstärke erreicht zu haben. Ich versuche mir die Ohren zuzuhalten, doch die Töne fangen vor meinen Augen an zu tanzen. Kleine, schwarze Sterne, die wild durch die Gegend fliegen.
Plötzlich spüre ich einen Druck von hinten. Ich werde nach vorne geschoben, machtlos, dagegen ankämpfend. Aus dem Augenwinkel sehe ich gerade noch die Fahrstuhltüren an mir vorbeigleiten, bevor ich zu Boden geworfen werde. Jemand tritt mir auf den Arm, doch ich registriere es nur, ohne Schmerzen dabei zu verspüren. Komplette Finsternis breitet sich vor meinen Augen aus.
PARUMPUMpUmP pa RuM pUm Pum pa rum pum pum
Ich liege mit geschlossenen Augen am Rücken und versuche tief durchzuatmen. Langsam kommt das Gefühl in meine Glieder zurück und ein stechender Schmerz kriecht meinen Oberarm entlang.
Vorsichtig öffne ich die Augen. Etwa 30cm entfernt sehe ich ein Gesicht. Rote Backen, ein wallender weißer Bart, buschige, weiße Augenbrauen und eine tiefrote Mütze.
Das Gesicht grinst.
"Na, Kleiner? Willst du vielleicht ein Zuckerl? Ho Ho Ho Ho."
Das Gesicht kommt näher und auch eine Hand, die ein Zuckerl hält, schiebt sich in mein Blickfeld.
Die Farben verändern sich, das Rot dominiert plötzlich alles. Die Nase wird immer größer, das hohoho Zuckerl hat auf einmal Beine. Der Mund wird hoho kreisrund. Die Hand hOhoHo mutiert zu einer Klaue, umHoHOHofasst das Zuckerl und beHOHOhOginnt zu quetschen. RoHOhOtes Blut quillt aus der Verpackung HOHOHOHHO und tropft hOOHo auf mich herab. Ich höre meinen HOOOHOschreiHOHO nicht spüre nicht HohO wie meine Fäuste unHOHOkontrolliert schlagen.
PARUMPHOHOHOUMPblinkHOblinkblinkPAhohoHORUMPUMpblinkbliHOHOnkblink
Schwärze.
 
Grelles Licht sticht in meine Augen. Ich blinzle irritiert und brauche einige Sekunden um meine Augen an die Helligkeit zu gewöhnen.
Ein weißes Zimmer, ich liege in einem Bett. An der Wand hängt ein Kreuz und ein Bild unseres Bundespräsidenten. Am Bettende steht eine Krankenschwester und lächelt mich freundlich an.
"Guten Morgen! Wie fühlen Sie sich denn?"
Ich versuche mich aufzurichten, doch ich kann mich nicht bewegen. Beide Arme und Beine sind eingegipst, zusätzlich trage ich noch einen Verband um den Brustkorb.
"Wo bin ich?", frage ich die Krankenschwester.
"Im Spital. Aber keine Angst. Ihre Verletzungen sind nicht so schwer, wie sie im ersten Moment gewirkt haben. In spätestens 6 Monaten sind sie wieder halbwegs hergestellt."
"Und wie lange bin ich schon hier?"
"Seit drei Tagen", lächelt sie mich an. "War ja eine tolle Aktion, die Sie da gebracht haben! Sie haben es damit sogar geschafft, den Nahost-Konflikt als Spitzenmeldung in den Abendnachrichten zu verdrängen."
Ich versuche etwas gequält zu lächeln. Es gelingt mir nicht sehr gut.
"Als ich die Bilder von der Überwachungskamera des Kaufhauses im Fernsehen gesehen habe", fährt sie fort, "Also direkt unglaublich! Wie Sie den drei Meter hohen Tannenbaum in die Porzellanabteilung geworfen haben, sagenhaft. Oder wie Sie die Wachmannschaft mit Christbaumkugeln K.o. geschossen haben. Und erst das Finale, als Sie sich an diesem dünnen Seil aus dem dritten Stock geschwungen haben! Haben Sie denn die Glastüre nicht gesehen? Na ja."
Ein flaues Gefühl steigt in meinem Magen auf.
"Ach übrigens, einige Leute haben gesagt, daß sie Sie gerne besuchen würden. Da wäre der Mann von der Versicherung des Kaufhauses. Er hat irgendwas wegen finanziellen Forderungen oder so gemurmelt. Dann der Primar von der psychiatrischen Abteilung. Er war ganz aus dem Häuschen! Hat gesagt, mit Ihnen könnte er berühmt werden. Sie wissen ja, wie diese Ärzte sind. Ach ja und der Bodybuilder, der den Weihnachtsmann gespielt hat. Also, dem haben Sie es ja ordentlich gegeben." Sie zwinkert mir zu. "Er liegt gerade im Nebenzimmer, aber er hat gesagt, sobald er aufstehen kann, kommt er Sie besuchen."
Das flaue Gefühl wird zu einer ausgewachsenen Übelkeit.
Testhalber versuche ich mich zu bewegen. Keine Chance. Als wäre ich einbetoniert worden.
"Aber jetzt gönnen Sie sich mal ein bisschen Ruhe. Ich habe übrigens eine kleine Überraschung für Sie." Sie hantiert mit einem Gerät herum, steckt es an die Steckdose an.
"Nachdem Sie über Weihnachten ja im Koma gelegen sind, habe ich mir gedacht, Sie würden nachträglich ein wenig feiern wollen."
Jetzt erkenne ich, daß es sich um einen Kassettenrekorder handelt. Sie legt eine Kassette ein und drückt die Play-Taste. Noch einmal lächelt sie mich an, dann geht sie aus dem Zimmer und macht leise die schwere Tür hinter sich zu.
Viel zu lautes Rauschen beginnt den Raum zu erfüllen. Anscheinend hat sie den Rekorder unabsichtlich auf volle Lautstärke eingestellt.
gschhhhhhhhhhhhh dam dada dam dada dam dadadadadada dam Come they told me pa rum pum pum pum ....

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