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von
Alexander
Auer
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Stadt ohne Mond

Ein kalter Wind schlägt mir entgegen, als ich aus dem Kaffeehaus in die sternenklare Nacht hinaustrete. Ich habe wieder einmal zuwenig an, mir fehlt die dicke Haut mit der sich andere schützen. Hier, ohne die umgebende Wärme der Anderen, spüre ich, daß es Winter wird. Ich ziehe den Zip meiner Jacke hoch und schaue zum Himmel empor. 1000e kleine Lichter, Sterne genannt, leuchten mir entgegen. Manche davon sind seit Jahren zerstört, explodiert, implodiert, erloschen. Wir wissen es nur noch nicht, da das Licht längst vergangener Jahre noch immer zu uns unterwegs ist. Ein Stern leuchtet besonders hell, das muß ihr Anführer sein. Manche von ihnen sind zu Gruppen formiert, doch die meisten stehen für sich alleine am Firnament. Die Distanz zwischen ihnen ist mächtig, sie können einander nur aus der Entfernung leuchten sehen. Ich zünde eine Zigarette an. Es ist viel los auf der Straße. Samstagabend. Ein Geschwirr von Stimmen verfolgt mich vom Kaffee bis zum Platz am großen Fluß. Stimmen, die reden ohne etwas zu sagen, treffen auf Ohren, die hören ohne zu verstehen. Die Stadt ist voll von Leuten, die sich nicht kennen. Eine Gemeinschaft, in der jeder für sich alleine steht. Vom Fluß her weht mir ein kühler Wind entgegen, als Einladung. Leute hetzen an mir vorbei um die letzte U-Bahn zu erwischen. Ich lasse mich auf einer Parkbank nieder und beobachte die Gesichter, die im Schein der Straßenlaterne sichtbar werden, um Sekunden später wieder in der Dunkelheit zu verschwinden. Neben mich setzt sich ein Obdachloser. Er schaut mich lange an.
"Mir ist kalt" sagt er schließlich.
"Ich weiß. Jedem ist kalt in dieser Stadt." Ich schaue noch einmal in den Himmel. Die Sterne sind da, aber der Mond ist nirgends zu entdecken.
"Wann hast du das letzte Mal den Mond gesehen?" Mein Sitznachbar antwortet auf die Frage mit einem traurigen Lächeln.
"Ich weiß nicht. Vor 6 Jahren vielleicht? 7 Jahren? Vielleicht als Kind?"
Ich schaue wieder in den Himmel. Er hat recht. Das letzte Mal als ich den Mond gesehen habe, war ich auch noch ein Kind. Als ich mich mit einem Freund nachts heimlich auf der großen Wiese getroffen habe, da haben wir ihn noch gefühlt. Groß und leuchtend, so unglaublich nahe. Alle konnten ihn sehen und alle waren sich nahe. Wir waren Teil einer Einheit während wir hinaufsahen. Jetzt ist er unter Hochhäusern begraben. Diese Stadt hat keinen Mond. Der Mond ist tot. Und der kalte Wind hier am Platz neben dem großen Fluß wird unerträglich.

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