Aufdringliche Selbstdarstellung seit 1996
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von
Alexander
Auer
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Nur ein Tag
Der Tag fließt dahin wie Lava. Du stehst auf und hast das
Gefühl, daß die ganze Sinnlosigkeit deines Lebens sich in
diesem Tag vereinigt. Die erste Zigarette wird geraucht
während das Teewasser leise kocht. Sie schmeckt nicht
wirklich, verursacht dir nur ein flaues Gefühl im Magen.
Die Zeitung hast du in 5 Minuten überflogen. Neue Bestzeit.
Immerhin. Du willst irgend jemand anrufen, um eine vertraute
Stimme zu hören und die Einsamkeit zu verjagen. Doch wenn
du vor dem Telefon stehst, erscheint dir selbst das zu
anstrengend. Die Zeit verstreicht nicht und draußen schüttet
es wie aus Kübeln. Du nimmst dir ein Buch das dich nicht
interessiert und zwingst dich ein paar Seiten zu lesen.
Nach einer Weile merkst du, daß du die gleiche Zeile schon
zum dritten Mal liest und sie noch immer nicht verstehst.
Du legst das Buch weg und lehnst dich im Sessel zurück.
Vorm Fenster fliegen Krähen vorbei und kündigen den nahenden
Winter an. Sie kommen in Schwärmen und lassen sich auf den
Telefonleitungen nieder, bis sie ein vorübergehender
Fußgänger verscheucht. Du legst eine Cd ein und hörst dir
Tom Waits an. Alles was du machen kannst, ist den
Sekundenzeiger der Wanduhr zu beobachten. Er dreht seine
Runden, unbeirrbar, unbestechlich. Aus Sekunden werden
Minuten, aus Minuten Stunden, aus Stunden Tage, Monate,
Jahre. Und irgendwann wird es für dich keine Jahre mehr
geben. Mit jeder Bewegung die der Zeiger macht, kommst
du diesem einen, letzten Tag näher. Es ist Mittag geworden,
draußen ist es noch immer düster. Die Sonne scheint diesen
Tag vergessen zu haben. Du hast keinen Hunger, zwingst dich
aber ein paar Bissen zu essen. An was du auch denkst,
alles scheint seinen Sinn und seine Farbe verloren zu haben.
Es gibt nichts in deinem Leben, außer dem Nichts. Dem großen,
alles fressenden Nichts, in das du dich fallen läßt. Du
drehst den Fernseher auf, läßt dich berieseln, vor dir
eine Flasche Whiskey. Wenn das Leben keinen Sinn macht,
muß man sich mit Sinnlosem zu helfen wissen. Am Abend ist
die Flasche zur Hälfte geleert. Du weißt, du mußt hinaus,
Leute sehen, aber bei dem Regen ist nicht daran zu denken.
Keiner deiner Freunde würde heute auch nur einen Schritt
hinaus wagen. Na und? Wer braucht schon Freunde. Du setzt
dich in die Straßenbahn. Allein. Kein Mensch da. Außer
dem Fahrer. In der Stadt suchst du dir das erstbeste Lokal
aus und setzt dich an einen kleinen Tisch. Es stehen und
sitzen einige Leute um dich herum. Sie tun als würden sie
sich amüsieren, aber es wirkt sehr verkrampft. Die Musik
ist viel zu laut, man muß sich gegenseitig anschreien, um
einander zu verstehen. Aber wer will die Anderen schon
verstehen. Den meisten reicht es, gesehen zu werden. Die
Zigarettenpackung ist leer. Die Einsamkeit ist hier
stärker als zu Hause, außerdem ist dir kalt. Du zahlst,
und verlässt das Lokal wieder. Der Regen ist in Schneefall
übergegangen, eine dünne weiße Schicht bedeckt die Straßen.
Die Stadt schaut sehr friedlich aus, wie in einen Mantel
gehüllt. Morgen werden die Abgase der Autos den Schnee in
braunen Gatsch verwandeln. Zu Hause nimmst du dir die
zweite Hälfte der Whiskeyflasche vor. Im Fernsehen läuft
ein Fußballmatch das dich nicht interessiert, aber du
schaust es dir trotzdem an. Die Stunden ziehen dahin, es
ist spät und du müde. Aber du bist zu faul um dich ins
Bett zu legen. Irgendwann nimmst du den letzten Rest von
Willen zusammen und drehst den Fernseher ab. Du weißt
nicht einmal mehr richtig, was du gesehen hast. Du ziehst
dich aus und legst dich ins Bett. Alles dreht sich ein
bißchen wenn du die Augen zumachst, der Whiskey zeigt
seine Wirkung. Wie schon so oft denkst du daran was wäre,
wenn du einfach nicht mehr aufwachen würdest. Und mit
jedem Mal scheint dir die Vorstellung besser zu gefallen.