Impressum | Kontakt | Jobs
Aufdringliche Selbstdarstellung seit 1996
Homepage
von
Alexander
Auer
Durchschnittliche Bewertung: 7.53 (19 Stimmen)

Platzangst

Ich sitze am Badewannenrand und starre sie an. Sie starrt nicht zurück. Sie ist einfach da.
Besser gesagt, sie ist nicht einfach da, sondern präsent. Strahlt auf eine geheimnisvolle, fast unangenehme Art Präsenz aus, die weit über ihrer tatsächliche Größe hinausgeht.
Realität ist, daß sie nicht länger als 15cm ist, einen gebogenen Stil hat und ein Sonderangebot war. Eine ordinäre Zahnbürste eben. Und doch nicht, denn es ist nicht MEINE Zahnbürste. Meine Zahnbürste steckt daneben im Becher und versucht den Eindringling zu ignorieren.
"Jetzt ist es also passiert", fährt es mir durch den Kopf. Obwohl ich mir geschworen habe, daß ich nie meine Wohnung teilen würde. Mit niemandem.
Und jetzt ist SIE da.
Wie viel Platz sie wohl braucht? 2 cm³ ? Das würde bedeuten, daß sich meine Wohnfläche auf 54 m² minus 2cm³ reduziert. Das mag sich nach einem lächerlichen Verlust anhören, doch ich weiß genau, sie wird noch wachsen. Noch gibt sie sich mit dem zugewiesenen Platz zufrieden, doch in Kürze wird ein fremdes Handtuch neben dem Waschbecken hängen. In geblümten Pastelltönen. Oder rosa. Oder in einem anderen Muster, daß ich mir niemals in nüchternem Zustand ausgesucht hätte.
Nach dem Handtuch wird plötzlich ein Duschbad mit Kamilleextrakten neben der Badewanne auftauchen. Und dann Feuchtigkeitscreme. Weitere Cremen, deren Zweck jedem männlichen Wesen zwangsläufig verborgen bleiben muss. Mein Rasierzeug wird aus Platzgründen in den Schrank wandern.
Schließlich wird die Eroberung des Badezimmers durch die strategische Platzierung einer Packung Carefree, wie durch das Hissen der gegnerischen Flagge, abgeschlossen.
Das Territorium ist erobert, die Ureinwohner müssen sich neuen Gesetzen beugen. Folgende Punkte werden im unausgesprochenen (und doch verpflichtenden) Unterwerfungsvertrag festgehalten: Das wird aber nur den ersten Schritt in der Verwirklichung weitreichender Expansionspläne darstellen.
In weiterer Folge findet man plötzlich BHs in der Unterhosenschublade und Strümpfe bei den Socken. Lebende Grünpflanzen ranken sich vom Fernseher, während das Kücheninventar um einen Teekessel und Untertassen erweitert wird. In der Gemüselade des Kühlschranks findet sich unerwarteter Weise tatsächlich Gemüse.

Ich sitze am Badewannenrand und starre sie an. Sie starrt nicht zurück.
Schließlich stehe ich auf, nehme sie aus dem Becher und packe sie ein, um sie wieder zurückzugeben.
Was werde ich sagen?
Ich glaube, ich werde sagen, daß ich einfach nicht genug Platz in der Wohnung für eine zweite Zahnbürste habe.

Wie gut hat Dir die Geschichte gefallen?:
(Gar nicht) 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 (Sehr gut)
nächste Geschichte
Zurück zur Übersicht