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von
Alexander
Auer
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Die Macht des Konsumenten

"Das Leben ist voller Entscheidungen !",
schießt es mir durch den Kopf als ich die zwei Kaffeepackungen aus dem Regal nehme. Beide lachen mich mit ihren blitzenden Aluminiumverpackungen an.
Marke Arabica lächelt um 10 Schilling billiger. Doch halt! "Ausbeutung der dritten Welt", schreit mein Gewissen. Billigpreise auf Kosten des südamerikanischen Plantagenarbeiters! Die blau-grüne Packung verschwindet wieder im Regal.
In der anderen Hand halte ich noch einen Kilo Jacobs. 10% mehr weil Vorteilspack, bekömmlich und belebend. Selig lächelnd erinnere ich mich an die blonde Schönheit aus der Werbung, die den ganzen Tag aktiv ist, fünf hochangesehene Jobs gleichzeitig ausübt und ihr Leben lang jung, dynamisch und begehrenswert ist.
Schon scheint meine Wahl getroffen, da fällt mir ein, daß Jacobs zum Nestlé Konzern gehört. Die kann ich doch nicht unterstützen! Konkurrenz belebt den freien Markt, gebt den Kleinen eine Chance!
Das Sortiment bietet nur noch eine Alternative. Bilder von ausgehungerten Bolivianern schleichen sich in meine Gedanken, werden aber sofort verdrängt.
Kaffee braucht der Mensch!
Ich lasse die goldschimmernde Packung in meinen Einkaufswagen fallen und schiebe ihn weiter durch die schmalen Gänge des Supermarktes.
Wo sind denn hier die Paradeiser?! Ah, hier.
Herkunftsland: Niederlande. Werden natürlich nicht genommen, denn es ist ja allgemein bekannt, daß die Holländer ihr Gemüse strahlenverseuchen.
Warum auch immer.
Herkunftsland: Spanien. Haben die Spanier nicht irgendeinen Streit mit den Basken? Da war doch kürzlich etwas in den Nachrichten. Die Frage ist nur, sind die Spanier die Guten, oder die Basken? Wer unterdrückt wen? Sind Basken nicht eigentlich auch Spanier?
Lieber keine spanischen Paradeiser.
Die italienischen sind ausverkauft. Ich hätte sie aus Protest gegen die Rechtsregierung sowieso nicht gekauft. Moment, sind in Italien nicht letztens die Kommunisten an die Macht gekommen? Oder war das in Frankreich? England?
Ganz hinten im Regal entdecke ich österreichische Paradeiser. Juble, Patriotenherz! Unterstützt die heimische Wirtschaft. Ja zu A. Garantierte Qualität durch österreichisches Gütesiegel!
Sie sind matschig.
Ich kaufe eine Gurke. Irgendeine.
An der Joghurtabteilung bleibe ich kurz stehen, ziehe aber schnell weiter. Wegen der Schildläuse. Ich habe vergessen, in welchem Land die waren.
Bei der Milch angekommen, stehe ich vor einer Gewissensfrage, die mir seit Jahren den Schlaf raubt: Packerl oder Flasche?
Lange habe ich mit reinem Gewissen zur (Milch-) Flasche gegriffen, bis zu jenem verfluchten Tag, an dem die Fernwärme verlautbarte, daß sie wegen der fehlenden Milchverpackungen mit Öl zuheizen müßte. Und dies belaste die Umwelt schwer. Außerdem müßten die Flaschen mit Chemikalien gereinigt werden, usw.
Ich werde wohl wieder mit meiner Milchkanne zum Biobauern fahren müssen. So wie letzte Woche. Ich nahm entgegen meiner sonstigen Gewohnheiten das Auto, aus Solidarität mit den, um höheres Gehalt kämpfenden, Schlafwagen - Schaffnern.
Nach einiger Zeit merkte ich, daß mein Sprit zur Neige ging.
Die erste Tankstelle, die ich passierte, war eine von Shell. Dort konnte ich mein Geld natürlich nicht lassen! Wegen der Ölplattform. Und Uganda. Uganda? Nein, ich glaube das war Ruanda. Auch nicht, wegen Ruanda kaufe ich kein Coca-Cola. Weil die amerikanische Regierung die Contras dort unterstützt hat und Coca-Cola ein Symbol für den amerikanischen Imperialismus darstellt. Moment, eigentlich war das in Nicaragua.
Jedenfalls verbot mir mein Gewissen strikt, bei Shell zu tanken.
Als nächstes kam ich zu einer OMV Tankstelle. Auch hier fuhr ich vorbei, da die OMV Geschäftsführung sich weigerte, trotz niedriger Preise in Rotterdam den Benzinpreis zu senken. Kartellbildung! Preisabsprachen!
Irgendwie verstehe ich trotzdem nicht, warum die OMV in Rotterdam einkaufen geht.
Auch bei ARAL blieb ich nicht stehen. Sicherheitshalber.
10 km weiter ging mir der Sprit aus und ich machte mich mit dem Reservekanister auf den Weg. Nach etwa 1 ½ stündigem Fußmarsch erreichte ich die nächste Tankstelle.
Shell.
Der Tankwart war so nett und hat mich zu meinem Auto zurückgefahren. Dafür hat er eine Ölplattform bei mir gut.
Mittlerweile bin ich beim Bier angekommen.
Brau-AG Bier wird links liegengelassen. Die haben eine marktbeherrschende Stellung im Lande und erdrücken die Kleinen. Siehe Nestlé.
Gerstensaft aus der Slowakei ist wegen Mochovce verpönt, und wegen dem Regime, das den freien Journalismus unterdrückt.
Deutsche Produkte kaufe ich schon seit dem letzten Eurovisions - Songcontest nicht mehr. Ihr habt uns einmal zu oft null Punkte gegeben! Werdet schon sehen, was ihr davon habt. Remember Cordoba!
Ich entscheide mich für eine Kiste Mineralwasser. In Glasflaschen, kein Plastik. Ist sowieso gesünder.
Waren da nicht Proteste von Frauengruppen wegen der sexistischen Fernsehwerbung ...?
Schnell weiter zur Feinkost!
Dazwischen wandert noch eine Packung Freilandeier in den Einkaufswagen. Die sind zwar doppelt so teuer, aber so ein glückliches Ei schmeckt doch gleich viel besser.
Die Wurst! Salami, Putenextra, Pikantwurst. Rohschinken, Südtiroler, Geselchtes. Schopfbraten, Krakauer, Leberkäse.
Wie viele gar nicht mehr glückliche Tiere mußten für dieses Sammelsurium ihr unschuldiges Leben lassen?
Ich kaufe 20 dag Emmentaler.
Insgeheim hoffe ich, damit einen Bergbauern in einer Krisenregion zu unterstützen. Oder wenigstens eine Biobauern - Genossenschaft.
Die Schlange vor der Kasse ist sehr lang. Genug Zeit, die Unschuld der gewählten Produkte noch einmal zu überdenken. Beim Kaffee schummle ich.
Endlich ist die Kassiererin in Sicht! Waren aufs Förderband, Geldbörse gezückt.
Doch da!
Wie ein glühendes Eisen brennt sich das Geschäftslogo in meine Augen. Ich erkenne es sofort! Erst gestern prangte es über einem Artikel im Wirtschaftsteil meiner nicht zur Media Print gehörenden Tageszeitung. Die Geschäftsleitung hatte die Absicht bekannt gegeben, landesweit 500 Mitarbeiter entlassen zu wollen. Die Gewerkschaft kündigte Kampfmaßnahmen an.
Aus Solidarität mit der Kassiererin, die gerade damit, beginnt meine Waren über den Scanner zu ziehen, verlasse ich fluchtartig das Geschäft.
Ich weiß, sie wird mir dankbar sein.
Man muß sich doch der Verantwortung stellen, die man als Konsument hat!

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